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Freitag, 16 Mai 2025 14:34

„Vom Schmerz zur Ekstase“: Der mexikanische Künstler Miguel Valverde über Kunst, Lucha Libre und kulturelles Gedächtnis

Von María Andrea Múñoz /Übers.: F. Klika
Miguel Valverde spricht über Lucha Libre als Kunstform und Ausdruck mexikanischer Identität. Foto: Ivett Ángeles Litano

Die Zeitschrift CulturaLatina traf den mexikanischen Künstler Miguel Valverde im Lateinamerika-Institut in Österreich im Rahmen der Woche der Lucha Libre (vom 9. bis 17. Mai).
Diese multidisziplinäre Veranstaltungsreihe verwandelte Wien in einen Treffpunkt für Masken, Farben, Identität und Widerstand, mit Ausstellungen, Gesprächen, Filmvorführungen und interaktiven Aktivitäten, die die Lucha Libre als lebendiges Symbol der mexikanischen Kultur feiern.
Die Lucha Libre wurde 2018 als Immaterielles Kulturerbe der Stadt Mexiko-Stadt anerkannt und geht weit über das Spektakel hinaus: Sie ist Ausdruck sozialer Narrative, visueller Kunst und ein Spiegelbild einer vielfältigen Nation.
Valverde, eine Schlüsselfigur dieser Initiative und leidenschaftlicher Forscher auf diesem Gebiet, teilt mit uns seine Sicht auf diese kulturelle Ausdrucksform, die Ritual, Körper, Mythos und Geschichte miteinander verbindet.

Wie entstand die Idee zur Ausstellung?

Man kann sagen, dass die Idee zur Ausstellung im Jahr 2023 entstand. Damals kuratierten wir eine Schau zum Día de los Muertos am LAI. Wir arbeiteten intensiv daran und konnten wertvolle Kooperationen aufbauen. Aus dieser Erfahrung entstand die Idee, mit Andrea Eberl weitere Projekte umzusetzen.

Bei dieser ersten Ausstellung waren zehn Künstler:innen aus Texas und zehn aus Chihuahua beteiligt. Und neben dem Día de los Muertos ist für mich Lucha Libre ein weiteres zentrales Thema in der mexikanischen Kultur. Ich beschäftige mich schon seit Jahren damit.

Also sprachen wir darüber, ein neues Projekt zu entwickeln – professionell und sorgfältig. Denn Lucha Libre ist zwar weltweit nicht so präsent wie der Día de los Muertos, aber sie ist ein zeitgenössischer Ausdruck mexikanischer Kultur, der bald sein 100-jähriges Jubiläum feiert. Mexiko hat sich diese Ausdrucksform komplett zu eigen gemacht. Und genau das wollten wir auch hier zeigen: wie lebendig, visuell und symbolisch Lucha Libre ist.

Entrevista con Miguel Valverde. Foto: Ivett Ángeles Litano.
Mit der Zeichnung von „Nopalucho“ auf seinem T-Shirt zollt Miguel Valverde dem alltäglichen Kämpfer Tribut – dem verletzten Körper, der zum Nationalsymbol wird. Foto: Ivett Ángeles Litano.
Entrevista con Miguel Valverde. Foto: Ivett Ángeles Litano.
Aus Farbe und emotionalem Duktus heraus erforscht Miguel Valverde die Kontraste zwischen Schmerz und Ekstase und bringt die Rituale und Symbole des mexikanischen Lucha Libre in die Kunst. Foto: Ivett Ángeles Litano.

Welche Rolle spielt Lucha Libre für die mexikanische Identität?

Lucha Libre spiegelt die mexikanische Gesellschaft wider. Sie ist voller Magie, Rituale, Mystik und Kontraste zwischen sozialen Kämpfen, Leben und Tod, eine Dualität, die tief in unseren Kulturen verwurzelt ist.

Wir in Lateinamerika tragen eine komplexe Identität. Nach der Kolonialisierung entstand eine Verwirrung, selbst in der Sprache. Wir sind eine Mischung aus indigenen und europäischen Einflüssen. Dazu kommt die Nähe zu den USA. All das beeinflusst, wie wir uns selbst sehen. Lucha Libre bringt diese Spannungen auf die Bühne.

Mehr als ein Spektakel ist Lucha Libre eine soziokulturelle Ausdrucksform. Auch wenn viele Elemente seit den 1930er Jahren gleich geblieben sind – der Ring, die Runden, "rudos" und "técnicos", Masken- oder Haarkämpfe – wird Lucha Libre nicht nur im Ring, sondern auch auf den Rängen gelebt. Meine Großmutter sagte: "Du brauchst keinen Psychologen, wenn du zur Lucha Libre gehst" – dort wird geschrien, losgelassen und kollektiv verarbeitet.

Können Sie die Rollen wie "técnicos" und "rudos" näher erläutern?

Lucha Libre zeigt das Drehbuch des Lebens: manchmal ist man der Held, manchmal der Gegner. Früher standen die Guten im Mittelpunkt, heute ist es die Persönlichkeit des Luchadors, die zählt. Die Rollen sind Projektionsflächen für gesellschaftliche Konflikte.

Wie im Film, wo es immer einen Guten und einen Bösen gibt, überträgt Lucha Libre auch politische oder soziale Realitäten: Ein kleines Land, das von einem größeren unterdrückt wird, kann in der Vorstellung ein "rudo" sein. Das Publikum erkennt sich in diesen Bildern wieder. Deshalb ist die emotionale Verbindung so stark.

Obwohl es Sport ist, hat es viele kulturelle Ebenen. Man muss Lucha Libre in einer Arena erleben. Es ist wie ein Stierkampf in Spanien – ein kulturelles Ereignis.

Wie zeigen sich Schmerz und Ekstase in der Kunst und im Ring?

Diese Gegensätze sind grundlegend. Schmerz ist tief in der Kultur Lateinamerikas verankert, etwa in religiösen Symbolen wie der Dornenkrone oder dem Nopal. Figuren wie "Nopalucho" stehen für diesen Schmerz.

Ekstase ist das übergeordnete Erleben. Es entsteht durch Überwindung, durch das Bewusstsein des Lebendigseins. Schmerz ist das Irdische, Ekstase das Spirituelle.

Ich arbeite mit Farben, Pinselduktus und Symbolik. Blau und Grün stehen für Lebenskraft und Ruhe, Rot für Schmerz. In "Del dolor al éxtasis" zeigen wir diese Spannungen über Farbe und Form.

Was ist in der Ausstellung in der Galerie "Lichtraum by Sonia Siblik" zu sehen?

Ein Luchador trägt eine Maske, Stiefel, Hosen. Jeder hat eine eigene Identität. Die Maske ist zentral, sie schafft Distanz und Schutz. Es gibt Miniatur-Ringe, Spielzeug aus der Kindheit in Mexiko. Lucha Libre ist Teil der frühesten Erinnerungen.

Das Wertvollste sind oft die ersten Erinnerungen: ein Eis mit der Mutter, eine Kappe von der Oma. Lucha Libre ist Teil davon. Diese Elemente haben wir in die Galerie gebracht.

Sonia Siblik hat das sehr fein kuratiert. Die Ausstellung ist für ein Wiener Publikum gedacht, das neutrale Farben gewohnt ist. Beim Vorübergehen sieht man eine Farbexplosion, Figuren, Masken – ein visueller Impuls, der neugierig macht.

Was möchten Sie, dass das Publikum mitnimmt?

Ich hoffe, die Menschen nehmen Fragen mit. Neugier. Ich präsentiere nicht nur meine Einzelarbeit, sondern auch eine kollektive Perspektive. Es geht um Vielfalt in der mexikanischen Kunst. Mexiko ist mehr als der Día de los Muertos.

Mit Respekt gesagt: Wir Künstler:innen müssen mutig sein, neue Ausdrucksformen zeigen und nicht nur das wiederholen, was sich gut verkauft. Wenn Mexiko als kulturelle Marke wahrgenommen wird, dann soll diese Marke wachsen. Sie darf nicht auf den Día de los Muertos reduziert werden.

Ich möchte, dass der kulturelle Blick nach Norden geht. Nach Chihuahua, Coahuila, Durango. In den letzten Jahrzehnten lag der Fokus auf Oaxaca, Mexiko-Stadt, Guadalajara, Monterrey... jetzt ist der Norden an der Reihe.

Die Beziehung zwischen Chihuahua und Texas ist stark. Trotz der Grenze ist es eine kulturelle Region. Ich glaube, Chihuahua wird in den nächsten 25 Jahren eine wichtige Rolle spielen.

Dieses Projekt entstand durch die Zusammenarbeit mit dem LAI, Sonia Siblik, Gina Guajardo, dem Filmcasino, dem ISAD und der Stadt Cuauhtémoc. Es war eine professionelle und bereichernde Erfahrung. Etwas bewegt sich im Norden Mexikos, und das sollte man zeigen.

Ausstellungen bis 6. Juni

Die Woche des Lucha Libre in Wien läuft noch und bietet den Besucher:innen eine Auseinandersetzung mit diesem kulturellen Ausdruck Mexikos, der weit über das Spektakel hinausgeht. Die Ausstellung „Del dolor al éxtasis“ in der Galerie Lichtraum by Sonia Siblik ist bis zum 6. Juni zu sehen und lädt zu einem farbintensiven, symbolgeladenen und emotionalen Rundgang ein, in dem der Kampf zur Kunst wird. Parallel dazu bleibt auch die Schau „El arte de luchar“ im Frida-Kahlo-Saal des Lateinamerika-Instituts auch bis 6. Juni geöffnet.

Außerdem findet am 16. und 17. Mai der Malworkshop „Die Magie des Lucha Libre“ statt, bei dem Miguel Valverde selbst die Teilnehmenden in die Bildsprache dieser populären Ikonografie einführt. 

Weitere Informationen unter diesem Link: www.vhs.at/de/e/lai/lucha-libre

Entrevista con Miguel Valverde. Foto: Ivett Ángeles Litano.
„Mehr als ein Spektakel ist Lucha Libre eine soziokulturelle Ausdrucksform“, betont Miguel Valverde und hebt ihre Kraft hervor, als Spiegel der mexikanischen Gesellschaft und als Kanal des volkstümlichen Ausdrucks zu wirken. Foto: Ivett Ángeles Litano.
Wandbild A dos de tres caídas sin límite de tiempo
Ein Werk des Künstlers Miguel Valverde – dieses Wandbild feiert 80 Jahre Lucha Libre in Mexiko und erzählt ihre Geschichte von den vorspanischen Wurzeln bis in die Gegenwart.
Entrevista con Miguel Valverde. Foto: Ivett Ángeles Litano.
Miguel Valverde bei seiner Begrüßungsrede während des Vernissages „Del dolor al éxtasis“ am 9. Mai. Foto: Ivett Ángeles Litano.

 

Letzte Änderung am Sonntag, 18 Mai 2025 12:51
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